Schon einer meiner Professoren hat vor Jahrzehnten den Satz geprägt, „was man lernen will soll man lehren!“. Den Satz habe ich mir sehr zu Herzen genommen, ich habe darauf aufbauend meine berufliche Laufbahn entwickelt. Tatsache ist, dass man anders lernt, wenn man den Stoff an andere Menschen weitergeben will, als wenn man nur für sich selbst lernt. Lernen bedeutet ja nicht nur etwas zu lesen und auswendig zu lernen. Lernen sollte einen Prozess explorativen Verhaltens durchlaufen. Forschergeist, Assoziationen und laterale Ansätze sollten den Lernprozess bestimmen.
Nichtwissen sollte in unbewusstes und bewusstes Wissen transformiert werden. Ihre Muttersprache entspricht bspw. unbewusstem Wissen oder Ihre Motorik des Treppensteigens entspricht unbewusstem Wissen. Beides erlernt der Mensch unbewusst. Reziprokes Lernen ist ein starker Treiber für unbewusstes Lernen. Viele Dinge werden so nebenbei gelernt, ohne sich bewusst dafür zu entscheiden.
REZIPROK LERNEN BEDEUTET EFFEKTVOLL LERNEN.
Man kennt es zur Genüge: Sie setzen einen Termin für eine interne Weiterbildung an. Sie geben sich auch die beste Mühe, Ihren Mitarbeitern den abstrakten Stoff zu vermitteln, drei Tage später wissen alle noch: „Da war doch was!“
Erschlagen Sie nicht sieben Fliegen mit einem Schlag, aber mit einem Schlag zwei Fliegen: Reziprokes Lernen und Lehren!
Ein inzwischen anerkannter Ansatz wird durch reziprokes Lernen von Palincsar & Brown beschrieben. Sie gehen folgendermaßen vor:
Verfassen Sie ein Handout, dass in Text Form den Inhalt Ihres Trainings wieder gibt. Bitten Sie Ihre Mitarbeiter dieses Handout im Vorfeld des Weiterbildungstermins mindestens einmal durchzulesen. Während der Weiterbildung stehen Sie jetzt nicht die gesamte Zeit in der Bütt, nein, Sie dienen nur im ersten Durchgang als Modell der heutigen Weiterbildung. Diese Information geben Sie Ihren Mitarbeitern bekannt, das fördert die Konzentration. Der erste Durchgang:
1. Sie lesen den 1. Abschnitt Ihres Handouts gemeinsam durch.
2. Der Trainer (also Sie) stellt Fragen über die Hauptpunkte des gerade gelesenen 1. Abschnitts Ihres Handouts.
- Der Trainer stellt Fragen, die über den Text hinausgehen, Assoziationen und laterales Denken fördern. Dabei geben Sie selbst Ihre gedankliche Metaebene (Metakognition) in Worten wieder.
- Die Fragen sollten einen metakognitiven Anspruch erfüllen: „Warum glaubt ihr, hat Simone gerade genau diesen Aspekt genannt?“ „Simone kannst Du uns erklären, wie Du gedanklich auf diesen Aspekt gekommen bist?“
o Metakognition beschreibt das Denken über das Denken. Beispiel:
„Sie möchten zum TÜV um Ihr Fahrzeug prüfen zu lassen. Wenn Sie wissen, wie Sie da hinkommen, dann werden Sie sich ins Auto setzen und dort hinfahren. Wenn Sie nicht wissen wie Sie zum TÜV kommen, werden Sie die Adresse in Ihr Navi eingeben oder einen Stadtplan studieren.“
Dieses beschriebene Beispiel lässt uns Metakognition verstehen. Sie sind in der Lage, über eine übergeordnete Bewusstseinsebene zu entscheiden, „weiß ich wie ich zum TÜV komme oder weiß ich das nicht?“ Das Ergebnis wird eine der im Beispiel beschriebenen Handlungsweisen sein. Eine Analogie wäre die Metakommunikationsebene.
Innerer Dialog
Sie durchdenken ein Verkaufsgespräch in einem inneren Dialog. Dabei begeben Sie sich auf die Metakommunikationsebene. Sie durchdenken alle potenziellen Reaktionen, Fragen und Argumente Ihres Kunden und trainieren Ihrerseits Strategien, Ihren Kunden zu überzeugen.
Eine weitere Analogie: Im Project Management Body of Knowledge (PmBok Guide) existiert für jedes Wissensgebiet (Personalmanagement, Terminmanagement…etc.) mindestens ein Managementprozess. Dieser Managementprozess wird auch als „Plan the Plan Prozess“ (Metaebene der Planung) bezeichnet. Es geht also nicht darum bspw. Termine zu planen sondern bspw. das Werkzeug zu eruieren, anhand dessen wir die Termine planen werden, bspw. MS Project.
Bezogen auf Ihre Weiterbildung, der Besprechung des 1. Abschnitts, fördern metakognitive Fragestellungen exploratives Vorgehen Ihrer Mitarbeiter. Exploratives Lernen erzeugt weitaus mehr Wissen, als reines Zuhören im Unterricht.
Der Trainer kann oder sollte begleitend Folien präsentieren, die i.d.R. nur Grafiken zeigen. Missbrauchen Sie PowerPoint nicht als Textprogramm. In 2 – 3 Sekunden sollten die Teilnehmer den Sinn der Grafik erfasst haben. Auch Ihre Grafiken sollten metakognitive Fragestellungen enthalten. Ausnahmen bilden Daten und Fakten, die grafisch nicht darstellbar sind.
3.Der Abschnitt wird zusammengefasst
- Die Teilnehmer sollen durch ihre Zusammenfassung zeigen, dass sie den Text verstanden haben. Lassen Sie mindestens 2 max. 3 Zusammenfassungen zu.
- Gehen Sie wieder auf die Metaebene und lassen Sie die Teilnehmer Vor- und Nachteile, Lücken und Fehler diskutieren. Schwierige Elemente schreiben Sie an das Flipchart.
4.Unklarheiten werden geklärt
- Paraphrasieren Sie anhand der schwierigen, nicht geklärten Elemente.
- Stellen Sie einzelne Ausdrücke oder Sätze klar.
5. Voraussagen über den Inhalt des kommenden Abschnitts
- Lassen Sie einige Teilnehmer Vorhersagen oder Vermutungen über die Aussagen des nächsten Abschnitts tätigen. Da ihre Mitarbeiter das Handout vorher gelesen haben, sollte da schon einiges Konkretes genannt werden. Auch wenn Sie das Handout nicht gelesen hätten, sollten Vorhersagen getätigt werden. Gehen Ihre Ausführungen nicht mit den Vermutungen der Teilnehmer konform, denken die Teilnehmer über den Sinn oder Unsinn ihrer Vermutungen tiefer nach und entwickeln nebenbei wieder metakognitive Denkstrukturen, die zukünftig bessere Vorhersagen erlauben. Auch werden Ihre Ausführungen lateral erweitert, was zu zusätzlich innovativen Vorschlägen oder Ergänzungen führen kann.
ZWEITE RUNDE!
Der nächste Abschnitt wird genauso in fünf Schritten abgehandelt wie der erste Abschnitt, mit einem Unterschied: Sie sind jetzt nur noch für die Metaebene zuständig. Die operative Ebene übernimmt jetzt einer Ihrer Mitarbeiter. Neben den metakognitiven Anteilen, die Sie steuern sollen, kann aber auch auf Didaktik und Rhetorik für den aktuellen Moderator geachtet werden. Voraussetzung ist einerseits, dass Sie sich in der Lage fühlen, auf Didaktik und Rhetorik des Moderators Einfluss zu nehmen. Andererseits sollte der vermittelnde Stoff die Ressourcen Ihrer Mitarbeiter nicht zu intensiv beanspruchen. Falls dies der Fall ist, sollten Sie auf diese zusätzlichen Maßnahmen verzichten.
By the way: Sind Ihre Meetings langweilig und will jeder nur weg? Versuchen Sie mal ein reziprokes Meeting. Mit ein wenig Phantasie, kann man alle fünf Schritte des reziproken Lernens auf jedes Meeting projizieren. Dadurch dass Sie sehr strukturiert arbeiten, werden Sie wahrscheinlich mit der Zeit kürzere Durchlaufzeiten erreichen als bisher. Und welche Effekte Sie nicht unterschätzen sollten:
- Sie trainieren Ihre Mitarbeiter im spontanen Präsentieren und Moderieren von fachlichen Themen.
- Sie involvieren Ihre Mitarbeiter stärker in den Entscheidungsprozess, was eine weit höhere Innovation hervorruft, andererseits den Identifikationsgrad signifikant erhöht.