Der neue Guide, 2. Teil des Buches, enthält acht Leistungsbereiche (Performance Domains)
Die Wissensgebiete existieren aber implizit immer noch über die PMIstandard+ Plattform. Gibt man dort bspw. PROJECT SCOPE oder PROJECT INTEGRATION MANAGEMENT ein, erhält man nach wie vor die Wissensgebiete mit ihren Prozessen.
Lesen Sie, wie die Performance Domains die Wissensgebiete frequentieren.
Lesen Sie auch den Artikel zur ersten Domain:
Die Liefer-Leistungs-Domain (Delivery Performance Domain)
Daraus werden erwünschte Ergebnisse (outcomes) abgeleitet:
- Projekte leisten einen Beitrag zu den Geschäfts-Zielen und der Weiterentwicklung der Strategien.
- Projekte realisieren die Ergebnisse, die zur Lieferung initiiert wurden.
- Die Projektleistungen werden in dem geplanten Zeitrahmen realisiert.
- Das Projektteam verfügt über ein klares Verständnis der Anforderungen.
- Die Akzeptanz und Zufriedenheit der Stakeholder ist gegeben.
Welche Themen deckt der PmBok Guide 7 basierend auf dieser Domain ab?
1. Werte
Der Fokus liegt auf den „Werten“. Wenn bisher die Deliverables, also die Liefergegenstände im Mittelpunkt aller Maßnahmen stand, dann sind es jetzt die Werte. Die Werte sollen sich besser den Geschäftszielen unterordnen. Diese Maxime ließ sich nicht so gut auf „Liefergegenstände“ projizieren.
Verwechseln Sie die „Werte“ nicht mit den agilen Werten oder den Prinzipien des neuen PmBok Guides. Es geht um Werte, die sich bspw. in Kennzahlen ausdrücken, Reputation erhöhen oder Know how einbringen. Zwei Fragen kann man vor diesem Hintergrund stellen:
Erzeugen wir die richtigen Werte? Erzeugen wir die Werte richtig?
Wenn beides regelmäßig verifiziert wird, kann man von einer überwachten Wertschöpfung sprechen. Man spricht auch von einem „concept to cash“. Ein Werkzeug zur Realisierung von „concept to cash“ könnte bspw. eine „Value Stream Map“ sein. Die Netto Bearbeitungsdauer des Inkrements oder des Liefergegenstands wird der Verweildauer in der Spalte des Kanban Boards oder im Arbeitspaket gegenübergestellt.
Netto Arbeitszeit / Verweildauer
Daraus lässt sich eine Kennzahl entwickeln, die sich mit anderen Iterationen oder Arbeitspaketen vergleichen lässt. Auch lässt sich damit ein Wert definieren.
Dieses Beispiel ist jetzt sehr agil – lastig. Auch der bisherige PMbok Guide kennt solche Kennzahlen, die aber vom Vokabular eher auf physische Komponenten ausgelegt waren. Insbesondere das Earned Value Management – zu gut Deutsch, „der verdiente Wert“ – ist eine Methode, „Werte“ vor dem Hintergrund von Zeit, Kosten und Fertigstellungsgrad, transparent in Kennzahlen auszudrücken.
2. Liefergegenstände
Die Liefergegenstände bleiben natürlich erhalten, wenn auch der Fokus primär auf den Werten liegt. Die Liefergegenstände werden über die Schritte „Anforderungen, Definition Inhalt und Umfang (Scope) und Beweglichkeit bei der Zielerreichnung“ erzeugt.
Im PmBok Guide 6 oder der PMIstandard+ Plattform findet man den Prozess „Sammeln der Anforderungen“. Hier werden 15 Werkzeuge oder Methoden zur Identifikation und Auswahl der Anforderungen angeboten. Für die PMP Prüfung sind diese Elemente weiterhin relevant, allerdings sollte der übergeordnete Fokus immer die Werte mit einbeziehen.
Der folgende Prozess wäre danach, die „Definition von Inhalt und Umfang„. Auch hier werden 5 Werkzeuge und Methoden angeboten, die verwendet werden können.
Ein Werkzeug ist im Rahmen der Produktanalyse die „Wertanalyse und Wertgestaltung (WuW)„. Die WuW verfolgt diverse Ziele, die wichtigsten sind jedoch die Reduktion von Kosten bezogen auf einzelne Funktionalitäten, sowie Qualitätsverbesserungen. Ein aktuelles Beispiel ist der 3D Druck von Bauteilen von Flugzeugen. Man spart eine Tonne Gewicht, was nicht nur den Kerosinverbrauch reduziert.
Die Reduktion von Kosten muss sich nicht immer auf physische Funktionen beziehen, es kann dabei auch um Prozessverbesserungen gehen, bspw. Beseitigung von Kostentreibern, die durch sogenannte Blindleistungen erzeugt werden, oder um Kostenreduktion in der Beschaffung. Gleichteilemanagement wäre ein Beispiel, das zu erheblichen Skaleneffekten in der Beschaffung führen kann.
3. Qualität
Kosten der Qualität sind seit eh und je ein zentrales Thema des PmBok Guides. Wobei es beim PmBok Guide immer noch eine Metaebene gab: Die Antizipation!
Antizipierendes Projektmanagement ist ein Kernthema, seitdem ich bei PMI laufen lernte. Antizipierende Überwachung und Steuerung betrifft eben auch die Kosten der Qualität: „Qualität wird nicht hineingeprüft, sondern hineingeplant.“ Hinein prüfen ist reaktiv, hinein planen antizipierend (PmBok Guide 6th, S. 274).
Das war zumindest bisher die Maxime des PmBok Guides. Prozesse werden antizipierend so robust gestaltet, so dass die Kosten der Qualität gegenüber den konservativen Methoden (Prüfen, Testen, Aussondern) erheblich gesenkt werden konnten.
Diese Maxime widerspricht ein wenig den agilen Methoden, bei denen es häufig erst über Tests zu einer vom Kunden erwünschten Qualität kommen kann. Das liegt aber insbesondere in der Natur der Softwareentwicklung. Die Anforderungen lassen sich i.d.R. nie von vornherein zu 100% umsetzen. Häufig kommt es zu Emergenzen (Auftreten neuer Eigenschaften), die von vornherein nicht planbar sind. (Lesen Sie dazu https://trainerknowledge.eu/2020/04/30/emergenz-mehr-als-die-summe-des-ganzen/)
Als zweiter Unterpunkt der Qualität sind die Kosten für Änderungen zu beleuchten. In einer Grafik auf Seite 549 im PmBok 6 werden die Steigerungen der Kosten für Änderungen auf der Zeitachse aufgezeigt. Diesen Effekt man agilen wie prognostizierten Projekten nachweisen. Wenngleich agiles PM solche Änderungskosten auch reduzieren soll. Dem kann man folgen, wenn es darum geht, geplante Anforderungen sehr weit hinten im Projektverlauf zu ändern.
Die Vorteile agiler Methoden bezüglich der Änderungen lassen sich nicht wegdichten. Ich war zwölf Jahre Soldat und habe unter anderem einen Panzerzug Leoparden geführt. Soldat sein, heißt agil denken. Nicht umsonst fand agiles PM seinen Ursprung im Militärischen.
Ein schönes Beispiel agilen Denkens ist das Panzerschießen. Ein Panzer dessen Kanone justiert war und dessen Zielkreuz genau auf die Mitte des Ziels zeigen musste, traf das Ziel. Aber nur, wenn das Ziel auf 1000 Meter Entfernung stand und die Wetterbedingungen vergleichbar mit dem Zeitpunkt des Anschießens waren. Veränderte Bedingungen – Munitionsart, Wetter, Entfernung, Hitzeentwicklung des Rohrs – bedurften aber veränderte Maßnahmen oder Vorgehensweisen.
Kommt es aber zu Änderungen in Projekten mit aufeinander aufbauenden von schon erzeugten Funktionen, die fehlerhaft interdependent mit aktuell erzeugten Funktionen korrespondieren – und hier können auch wieder emergente Entwicklungen der Auslöser sein – ist agiles wie prognostiziertes PM gleichermaßen von Änderungskosten betroffen.
In beiden Fällen kann nur ein optimiertes Konfigurationsmanagement vor exponentiell steigenden Kosten schützen ( PmBok Guide 6th, S. 118).
Bleibt als dritter Punkt „Suboptimale Ergebnisse“. Die beziehen sich nicht nur auf die Liefergegenstände der Produktseite. Auch die Liefergegenstände des Projektmanagements können suboptimal sein. Und darum geht es ja hauptsächlich im PmBok Guide. Die Fehler passieren selten auf Seiten der Ingenieure und Fachexperten. Die Fehler passieren auf Seiten des Projektmanagements. Eine qualitativ hoch wertige Governance verhindern suboptimale Ergebnisse (S. 44, PmBok 6th). Das Streben nach Project Excellence ist die Antwort auf suboptimale Ergebnisse.
Suboptimale Ergebnisse sollten aber nicht unter den Tisch gekehrt werden. Und das ist das Problem. Welches agile Team oder welcher Projektleiter kommuniziert schon gern seine suboptimalen Ergebnisse. Und hier kommen die Werte oder Prinzipien ins Spiel. Eine lernende Organisation muss Fehler tolerant sein.
Trotzdem spielt die Prägung und das Konstrukt im Kopf von Menschen eine dominierende Rolle. Ob Werte und Prinzipien, signifikante Änderungen im Denken und Handeln von Teams oder Menschen herbei führen können, das mag nur auf sehr wenige Menschen zu treffen.
Der Philosoph Richard David Precht bezweifelt dies, in dem er der heutigen Gesellschaft das „Pflichtbewusstsein“ abspricht. Und Pflichtbewusstsein ist ein Merkmal, dass stark mit Werten und Prinzipien korreliert.
Was ändert sich mit dem PmBok Guide 7?
Mit Sicherheit der neue Fokus, die „Werte“. Werte nicht nur im operativen Bereich, als messbare Kennzahlen, auch Werte, die den Projekt-Teams die Geschäftswerte und Strategien des Unternehmens vergegenwärtigen.
Jedes Projekt sollte dem Business Value des Unternehmens eine Rendite oder einen Nutzen bringen.
(S. 7, PmBok 6th)
Meine persönliche Ansicht: Ganz oben sollte aber immer die Rendite der menschlichen Gesellschaft stehen. Werden diese durch Projekte in Frage gestellt, sollte darauf verzichtet werden. Vor dem Hintergrund von Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung, zoonosen Infektionskrankheiten und Nationalismus, müssen Unternehmen bezüglich ihrer Geschäftsentwicklung umdenken.
Ich wage aber zu bezweifeln, dass dem Kopfnicken auch entsprechende Handlungen folgen.
Neben den Werten kommt es auch zu sich entwickelnden Anforderungen. Von den ausschließlich antizipierend zu sammelnden Anforderungen, werden eben auch Anforderungen akzeptiert, die in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden sich auf der Zeitachse ergeben können. Die natürlich auch als Reaktion auf eine VUCA Welt, die die vielen Bereichen den Wandel explosiv vorantreibt, wobei die Lernkurve hinter her hinkt. Der Antizipation muss aber eine a priori eine Lernkurve voraus eilen und nicht hinter her hinken.